Profil

Mein Bild
Kulturbezirk 5, 3100 St. Pölten, Niederösterreich, Austria
Seit 2011 gibt es den Museumsblog. Bis 31. Juli 2016 waren es Themen, die im Zusammenhang mit den drei Kernbereichen des Landesmuseum Niederösterreich (Geschichte - Kunst - Natur) standen. Mit 1. August 2016 wird das Landesmuseum zum Museum Niederösterreich und somit ist der Museumsblog unter neuer Adresse zu finden: www.museumnoe.at/de/das-museum/blog

27. April 2016

Kriegsschauplatz NÖ: Die letzten Tage: 18. April – 24. April 1945

Mittwoch, 18. April 1945

In der Nacht auf Mittwoch gab es einen Warmlufteinbruch: Tagsüber stiegen die Temperaturen bis gegen 16 Grad. Allerdings brachte die Westströmung Wolken und Regen mit.
Im Marchfeld und im Weinviertel ging die Schlacht weiter. An den Flanken – im Osten bei Rabensburg und im Westen bei Korneuburg – war der Widerstand ungebrochen, in der Mitte der Front gelang der Roten Armee ein tiefer Durchbruch. Nach 5tägigem Kampf fiel Korneuburg endgültig in die Hände der Roten Armee. Unter den Straßen- und Häuserkämpfen und den unterstützenden Luftangriffen hatte die Zivilbevölkerung schwer gelitten: 117 Zivilisten waren getötet worden. Auch in Mistelbach tobten Straßenkämpfe. Altlichtenwarth fiel zunächst kampflos in die Hände der Roten Armee, wurde dann wieder von SS-Einheiten unter heftigen Kämpfen rückerobert – 50 Gebäude wurden total zerstört, 40 schwer beschädigt. In Rabensburg starben 13 Zivilisten, 65 Objekte zerstört, Brücken gesprengt. Im Raum St. Pölten gelang es der Roten Armee endlich Wilhelmsburg endgültig zu erobern. Im Gölsental wurde ein zäher Kleinkampf um jede Ansiedlung geführt, unterstützt durch wiederholte Fliegerangriffe.  

Gedenkstein auf dem Kriegergrab vor der Pfarrkirche in Rabensburg.
© Elisabeth Vavra
Am Abend meldete das Oberkommando der Wehrmacht wie immer einen geschönten Bericht der Ereignisse des Tages: „Im ostmärkischen Grenzgebiet wurden beiderseits Fürstenfeld, südöstlich Mürzzuschlag und bei St. Pölten wiederholte Angriffe der Bolschewisten abgewiesen, verlorengegangene Abschnitte zum Teil durch Gegenangriffe zurückgewonnen. Westlich der March vereitelten unsere Truppen nächtliche Durchbruchsversuche des Gegners bei Mistelbach und Zistersdorf.

Donnerstag, 19. April 1945

Wieder zeigte sich der April von seiner besten Seite: Sonnenschein und angenehme 18 Grad bestimmten das Wetter, das in krassem Gegensatz zur Situation in den Kampfgebieten stand.
Im Weinviertel eroberte die Rote Armee im Lauf des Tages zehn weitere Orte, um die schon seit Tagen gekämpft wurde: u. a. Asparn an der Zaya, Eibesthal, Siebenhirten, Ulrichskirchen, Altmanns, Frättingdorf. In Wilfersdorf waren die Auswirkungen der Kämpfe besonders verheerend: nach dreitägigem Artilleriebeschuss war ein Drittel des Ortes zerstört. Fast alle Brücken in der Region waren unpassierbar. Im Bezirk St. Pölten ging es in erster Linie um Frontverbesserungen. Die Sowjets nahmen Michelbach, St. Christophen, Stössing und Brand-Laaben ein. Das Laaben-Tal war 14 Tage lang Frontbereich gewesen und unter schwerem Artilleriefeuer gelegen. Dementsprechend schwer waren die Zerstörungen. Sogar das Schutzhaus am Schöpfl wurde getroffen und brannte ab Die deutschen Einheiten zogen Richtung Gölsental ab. 

Über die Stimmung in der Truppe schwieg natürlich die offizielle Berichterstattung; wie es um Moral und Einsatz tatsächlich stand, lässt sich aber aus einem Regimentsbefehl, der an diesem Tag veröffentlicht wurde, herauslesen: „Es ist leider Tatsache, daß die Haltung unseres jungen reichsdeutschen Nachwuchses, aber auch die mancher Älterer nicht mehr so ist, wie wir sie wünschen. Die Gründe hierfür sind bekannt. […] Es hat keinen Zweck, über Probleme der Zukunft zu grübeln; das belastet den einzelnen bloß, und gegenwärtige Stellungsprobleme werden dadurch nicht aus der Welt geschafft. Welche Auswirkungen die gewiß nicht schöne, aus dem täglichen Wehrmachtsbericht zu hörende allgemeine Lage auf die Front unseres Regiments haben wird, interessiert uns nicht. Wir haben nur eine Aufgabe: unsere Stellung zu halten; daß dies erfüllbar ist, haben wir bewiesen. Das muß jedem Soldaten eingetrichtert werden. Und über eines muß er sich noch im klaren sein: so gut wie hier beim Regiment und bei seiner bei seiner Kompagnie hat er nirgends mehr; hier hat er eine festgefügte Kameradschaft, hier hat er ein Daheim.“  

Freitag, 20. April 1945

Während in Deutschland seit Tagen die Schlacht um Berlin geschlagen wurde, konzentrierte sich an diesem Tag der Kampf in Niederösterreich ganz auf das Marchfeld und das Weinviertel. Artillerie, Flieger und Panzer lieferten sich um jeden einzelnen Ort einen heftigen Kampf. Dabei wurden 36 Ortschaften von der Roten Armee erobert, manche nach tagelangen Kämpfen, so Ameis, Bullendorf und Ebersdorf an der Zaya. Fallbach etwa fiel nach 18 Tagen. Um Ungerndorf – eine Katastralgemeinde von Laa an der Thaya – und den nördlich davon gelegenen Flugplatz der Deutschen Armee tobte eine Panzerschlacht. Dabei wurden 23 sowjetische Panzer abgeschossen. Die im Marchfeld und im Weinviertel liegenden SS-Einheiten konnten an vielen Stellen den Druck der vorrückenden Roten Armee nicht länger standhalten. Sie wichen Richtung Norden zurück in der Absicht, an der Thaya eine neue Befestigungslinie aufzubauen, um das Vorrücken der Roten Armee Richtung Prag und damit Richtung Berlin zu verhindern.

In der sanften Hügellandschaft des Weinviertels rund um Zistersdorf tobten tagelang die Kämpfe um die letzten noch funktionsfähigen Erdölförderanlagen. © Elisabeth Vavra
Südlich der Donau verlief dieser Tag relativ ruhig. Heftig umkämpft war nur Traisen; mehr als 100 Rotarmisten fielen, 40 Wohnhäuser, die Kirche und die Schule wurden zerstört.          
Nach Berlin wurde abends mit eintägiger Verspätung gemeldet: „Feind nahm Brand-Laaben sowie Hainfeld und erreichte die Linie Schöpfl – Nordrand St. Veit – Schwarzenbach. Sonst südlich der Donau nicht Neues, auch an der Donau keine Veränderungen. Nördlich davon Vorstoß aus dem Raum Mistelbach nach Norden mit 60 Panzern, eigene Linie durchbrochen.“
Der abendliche Wehrmachtsbericht spielte die Situation herunter: „Im Süden der Ostfront gewannen Gegenangriffe südlich des Semmerings gegen zähen Widerstand weiteres Gelände zurück. Bolschewistische Angriffe südostwärts St. Pölten brachten dem Gegner nur geringe Geländegewinne.“ 

Samstag, 21. April 1945

Der 21. April sollte der zweitwärmste des Monats werden. Die Temperaturen kletterten auf 21 Grad. Am Abend schlug das Wetter aber wieder um. Ein Kaltlufteinbruch brachte Niederschläge und einen Temperatursturz. Der Einsatz von Fliegern war dadurch behindert. Die Sowjets konnten aber immerhin in Niederösterreich Einsätze gegen Korneuburg, Mistelbach, Hollabrunn und südlich der Donau bis Melk und Amstetten fliegen.
Der Vormarsch der Roten Armee im Marchfeld und im Weinviertel ging unaufhaltsam weiter. In der hügeligen Region um den Buschberg stießen sie zwar auf Widerstand, der sie allerdings nicht lang aufhielt. Herrnbaumgarten und Katzelsdorf fielen nach vorangegangenen Fliegerangriffen kampflos in die Hände der Sowjets. Südlich der Donau blieb es verhältnismäßig ruhig. Die Kämpfe konzentrierten sich auf einzelne Orte etwa im Triesting-, Gölsen- und Traisental. In Kaumberg wurden bei Infanteriekämpfen 23 Häuser durch Brand zerstört, die Bahnanlagen wurden gesprengt.          
„Österreichische Zeitung“ vom 15. April 1945
© Elisabeth Vavra

In der seit dem 15. April 1945 von der 3. Ukrainischen Front der Roten Armee als „Frontzeitung für die Bevölkerung Österreichs“ herausgegebenen „Österreichischen Zeitung“ hieß es: „Die Befreiung Österreichs geht in mehreren Richtungen vor sich. Alle Versuche der Deutschen, sich in geeignetem Verteidigungsgelände festzuklammern scheitern immer wieder. Nach der Einnahme Wiens dringt die Rote Armee in Richtung Linz unaufhaltsam vor, schon sind Korneuburg, St. Pölten, Herzogenburg und eine große Zahl von Ortschaften genommen. Von besonderer Bedeutung ist die Einnahme von Zistersdorf, der letzten Reserve Deutschlands betreffs Ölversorgung. Ebenso unaufhaltsam ist der Vormarsch der roten Armee in Richtung Graz, Fürstenfeld ist schon gefallen; die Anmarschwege nach Graz sin bereits unter Kontrolle der Roten Armee.

Von 1945 bis 1955 gehörten die Erdöl- und Erdgasförderanlagen wie andere Schlüsselindustrie zu den USIA-Betrieben (Verwaltung des sowjetischen Eigentums in Österreich). Nach dem Abschluss des Staatsvertrages ging der Erdölkomplex in den Besitz der Republik Österreich über. Als Ablöse sollten 10 Mio. Tonnen Rohöl im Wert von rund 200 Millionen Dollar nach Russland geliefert werden. Die letzte Lieferung erfolgte 1963/64. Die Sowjetunion begnügte sich schließlich mit 6 Mio. Tonnen. © Elisabeth Vavra

Sonntag, 22. April 1945

Das Schlechtwetter hielt an. Die Niederschläge nahmen zu. Über 800 Meter fiel wieder Schnee. Der durch den starken Regen aufgeweichte Boden erschwerte besonders im Marchfeld den Angriff der Sowjets und der Rückzug der Deutschen Armee. Ort um Ort fiel in die Hände der Roten Armee: Altruppersdorf, Neudorf, Staatz, Gaubitsch, Loosdorf usw.; bereits am 19. und 20. April hatte ein sowjetischer Tieffliegerangriff  Zlabern und Wildendürnbach schwere Zerstörungen zugefügt. Dabei starb auch ein Kind. Kampflos fielen an diesem Sonntag Neuruppersdorf, Ottenthal, Schrattenberg, Steinebrunn, Drasenhofen usw. Die Front erreichte den Bezirk Hollabrunn: Die Kirche in Enzersdorf im Thale wurde bei den Kämpfen 54mal getroffen.
Südlich der Donau ging der Stellungskrieg in den Tälern weiter: Nach 14 Tagen wurde Altenmarkt an der Triesting von den Sowjets endlich besetzt. In Neuhaus, das in den letzten Tagen ständig seinen Besitzer gewechselt hatte, waren fast sämtliche Häuser zerstört. Thenneberg war nun von drei Seiten umzingelt. Ein ähnliches Los widerfuhr Eschenau, in einem Seitental der Traisen gelegen. Um das kleine Bauerndorf wurde drei Tage gekämpft: 19 Bauernhöfe brannten nieder.  
Im Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht konnte man lesen: „Im Süden der Ostfront sind unsere Gegenangriffe südlich des Semmerings in gutem Fortschreiten. Die Bolschewisten versuchen, südöstlich St. Pölten vergeblich nach Süden Boden zu gewinnen.

Montag, 23. April 1945

Das Wetter blieb schlecht: Es war kalt, regnerisch und stürmisch. Selbst im Marchfeld lag die Wolkenuntergrenze bei 1200 Meter. Fliegereinsätze waren für beide Seiten nur in den Mittagsstunden möglich.
Die Fronten waren festgefahren. Langsam erlahmten auch die Kräfte der Roten Armee. Obergänserndorf, Kirchstetten und Michelstetten fielen – dann stand die Front still. Obergänserndorf war in den Tagen davor dreimal durch sowjetische Flieger angegriffen worden. 70 Objekte wurden von Brandbomben getroffen. Die Kämpfe um Michelstetten dauerten drei Tage, 70 Prozent der Häuser wurden dabei zerstört. Auch ein Kind starb im Bombenhagel.   
Auch südlich der Donau stagnierten die Kämpfe. Nur im Triestingtal blieb die Front in Bewegung. Hainfeld wurde endlich von der Roten Armee eingenommen: 62 Wohn- und Geschäftshäuser waren nur mehr Ruinen, ebenso 14 Bauernhäuser. Hainfeld war damit neben Wiener Neustadt prozentuell die schwerst betroffene Stadt Niederösterreichs. Manche Orte, wie Pottenstein, lagen seit Monatsbeginn im Frontverlauf. In Pottenstein fielen im wochenlangen Kampf 140 bis 150 deutsche Soldaten, 69 Zivilisten fanden den Tod. 50 Wohnhäuser, das Gerichtsgebäude und die Tuchfabrik brannten ab.
Im abends veröffentlichten Wehrmachtsbericht hieß es dann: „Im ostmärkischen Grenzgebiet gewannen unsere Gegenangriffe im Frontbogen südlich des Semmerings weiter Boden. Südöstlich St. Pölten drückte der Gegner vergeblich gegen denselben Abschnitt nach Süden. In den Kampfabschnitten nordwestlich Mistelbach scheiterten erneute Durchbruchsversuche der Bolschewisten nach harten Kämpfen.

Dienstag, 24. April 1945

Selbst in der Ebene wechselten Regen- mit Schneeschauern ab. Es blieb kalt und unwirtlich.
Noch in der Nacht hatte die Rote Armee Merkersdorf bei Ernstbrunn eingenommen. Ihr Ziel war Laa an der Thaya, das in den kommenden Tagen von der 8. Armee noch zäh verteidigt werden sollte.
Im Wienerwald und südlich davon zogen sich die deutschen Einheiten immer weiter zurück. Nach wochenlangen Kämpfen räumten sie Alland, das seit 6. April in der Kampfzone gelegen war: 41 Häuser, die Kirche und die Schule waren zerstört, die Brücken über die Schwechat gesprengt. Auch Weißenbach an der Triesting wurde geräumt. Die Rote Armee besetzte kampflos Miesenbach, Muggendorf und Waldegg.    
Abends hieß es dann im Wehrmachtsbericht: „Im Frontbogen südlich des Semmering warfen unsere Truppen die Sowjets noch weiter zurück und wiesen Angriffe bei Altenmarkt und Traisen ab. Zwischen Laa a. d. Thaya und Nikolsburg konnte der Feind keine nennenswerte Erfolge erzielen; in diesem Kampfabschnitt wurden 52 Panzer abgeschossen.

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra, Kuratorin und Wissenschaftliche Leiterin Geschichte
Verwendete Literatur: Theo Rossiwall, Die letzten Tage. Die militärische Besetzung Österreichs 1945. Wien 1969.

21. April 2016

Kriegsschauplatz NÖ: Die letzten Tage: 11. April – 17. April 1945

Mittwoch, 11. April 1945

Einblick in die Ausstellung "Kriegsschauplatz Niederösterreich"
In Wien brannten während der Nacht die Lagerhallen am Handelskai. Nebel, der über der Donau lag, und starker Qualm boten sechs sowjetischen Pionieren Schutz vor Entdeckung: Sie waren ausgeschickt, die Reichsbrücke nach Sprengladungen abzusuchen. Sie fanden keine vor. Im anbrechenden Morgen nahmen Landungstruppen der 80. Gardeschützen-Division die Brücke im Handstreich. Sowjetische Panzer stießen im Marchfeld unterstützt von motorisierter Infanterie nach Westen vor: Gänserndorf, Aderklaa fielen; Deutsch-Wagram wurde heftig umkämpft. Jedenspeigen wurde nach 4tägigem Gefecht besetzt: 35 Gebäude wurden zerstört, alle übrigen beschädigt. In Matzen tobten Infanterie- und Panzerkämpfe: 60 Gebäude wurden zur Gänze zerstört, 200 Häuser zum Teil schwer beschädigt. Immer wieder griffen in die Bodenkämpfe deutsche Flieger mit Bombenabwürfen ein, die Gebäude beschädigten und auch unter der Zivilbevölkerung Opfer forderten.
Südlich der Donau im Raum Tulln-St. Pölten verharrten die dort liegenden Truppen der Roten Armee in Wartestellung. Die aus Wien vertriebene deutsche Heeresgruppe Süd versuchte an der Traisen einen neuen Sperrriegel aufzubauen.
Der Wehrmachtsbericht meldete: „Zwischen Drau und Donau wurde der vorübergehend verlorengegangene Zusammenhang der Front wiederhergestellt. Die zäh kämpfende Besatzung von Wien wurde nach schwerem Ringen auf den Donaukanal zurückgedrückt. Im Donau-March-Winkel fingen unsere Truppen starke Angriffe auf.

Donnerstag, 12. April 1945

Da die Wetterlage sich noch immer nicht verbessert hatte, konnten die in Foggia stationierten US-Bomber Angriffe nur gegen Ziele südlich des Alpenhauptkamms fliegen. Die sowjetischen Luftstreitkräfte konzentrierten ihre Unterstützung der Bodentruppen auf das Marchfeld und südlich der Donau auf Herzogenburg und Wilhelmsburg.
Im Stadtbereich von Wien ging der Häuserkampf weiter. Ein Widerstandsnest nach dem anderen wurde aufgerieben bzw. ergab sich. Bis zum Abend waren die letzten deutschen Soldaten auf das nördliche Donauufer zurückgewichen. Als letzten Akt sprengten sie gegen Mitternacht die Floridsdorfer Brücke. 
In der Inneren Stadt spielte sich seit den Nachtstunden eine kulturelle Tragödie ab: Entweder durch deutsches Artilleriefeuer von Stellungen im Norden ausgelöst oder durch Brände, die Plünderer in der Nacht gelegt hatten,  war der Dachstuhl des Stephansdomes in Brand geraten. Der gesamte Dom brannte aus, die wertvolle Einrichtung wurde, soweit sie sich noch im Dom befand, zerstört, darunter des einzigartige Chorgestühl aus der Spätgotik. Am Nachmittag begann der Glockenstuhl des Hauptturms zu brennen. Um 14.30 Uhr stürzte die Pummerin ab und zersprang.
Im Marchfeld ging der Eroberungszug der Roten Armee weiter. Erbittert wurde um jeden Ort gekämpft. Je nach Widerstand wurden die Orte mehr oder minder stark beschädigt. Es gab  auch zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung. In Klein-Harras etwa wurden durch den Einsatz von Panzern, Artillerie und Bombenangriffen 48 Gebäude zerstört, der Rest schwer beschädigt. Immer stärker wurde nun auch der Bezirk Mistelbach in Mitleidenschaft gezogen. Brücken wurden gesprengt. In Wolkersdorf, das schon zuvor schwere Bombenangriffe erlebt hatte, tobten die Straßenkämpfe von Mittag bis Mitternacht.   
Abends gab das Oberkommando der Wehrmacht bekannt: „Südlich des Wienerwaldes scheiterten Angriffe der Bolschewisten. In Wien dauern die erbitterten Kämpfe am Donaukanal an. Vier feindliche Kanonenboote wurden auf der Donau in Brand geschossen. Im Donau-March-Dreieck erzwang der Gegner eine Ausweitung seines Brückenkopfes nach Nordwesten.“



Einblick in die Ausstellung "Kriegsschauplatz Niederösterreich

Freitag, 13. April 1945

Der 2. SS-Panzerkorps konnte die Verteidigungslinie am nördlichen Donauufer in Wien nicht länger halten. Sukzessive begann man mit der Räumung und setzte sich Richtung Korneuburg ab. Truppenteile der Roten Armee folgten auf den Fuß. Die in den Bezirken Gänserndorf und Mistelbach kämpfende 8. Armee erlitt ein ähnliches Schicksal. Die Sowjets drangen aus Richtung Matzen-Raggendorf gegen Norden vor. In Hohenruppersdorf starben 45 Zivilisten. In Obersulz dauerten die Kämpfe zehn Stunden. Währenddessen flogen sowjetische Fliegerverbände Angriffe auf den Raum Korneuburg und Mistelbach. Die deutschen Bomber griffen den Raum Tulln-St. Pölten an, um den Angriff der Sowjets im Tullnerfeld abzuwehren. Aber auch hier wurde ein Ort nach dem anderen durch die Rote Armee eingenommen: Atzenbrugg, Hasendorf, Sitzenberg, Reidling; dann weiter Jeutendorf, Weißenkirchen an der Perschling, St. Andrä an der Traisen usw.  
Das Oberkommando gab abends einen geschönten Lagebericht, der keineswegs den Tatsachen entsprach: „Stärkere feindliche Angriffe nördlich der Mur, am Wienerwald und östlich von St. Pölten führten zu Einbrüchen, die abgeriegelt wurden. In Wien dauern die schweren Straßenkämpfe an. Im Donau-March-Winkel und an der March verhinderten unsere Divisionen Durchbruchsversuche starker feindlicher Infanteriekräfte. Schwächere Kampfverbände warfen Bomben auf einige Orte im südostdeutschen Raum.

Samstag, 14. April 1945

Der Kampf an den Fronten im Wienerwald und im Marchfeld ging weiter. Im Raum St. Pölten fiel nach langen Kämpfen Böheimkirchen. Die deutschen Truppenteile zogen Richtung St. Pölten ab. Herzogenburg, das durch drei Luftangriffe schwer beschädigt war, fiel kampflos in die Hände der Sowjets. Im Artilleriefeuer starben 35 Zivilisten. Bei Pottenbrunn tobte eine Panzerschlacht – 20 Panzer wurden abgeschossen. Auch im Bezirk Lilienfeld begannen nun Angriffe der Sowjetarmee gegen dort liegende SS-Panzereinheiten.   
Nördlich der Donau gingen die Kampfhandlungen in unverminderter Härte weiter. Die vom 13. bis 23. April tobende Schlacht im Marchfeld war die härteste Auseinandersetzung auf österreichischem Boden. Sie diente als Flankenschutz der „Operation Prag“, die östlich der March Richtung Brünn gegen die Flanke der Heeresgruppe Mitte zielte. Gaweinsthal wurde zwar kampflos aufgegeben, nach dem Vorrücken sowjetischer Truppenteile dann aber durch Granatwerfer beschossen. Kronberg und Riedenthal fielen kampflos; Hohenau an der March fiel nach viertägigen Kämpfen – 30 Zivilisten wurden getötet, 50 Gebäude zerstört, die Thayabrücken gesprengt. 
An Reichsleiter Martin Bormann gab die Gauleitung Niederdonau einen Lagebericht: „Einbruch bei Puchberg und am Südberg der Hohen Wand westlich Kotzenstein im Gegenstoß bereinigt. Gegner in Schwarzensee eingebrochen. Im Raum St. Pölten steht Gegner in Herzogenburg und an der Straße St. Pölten-Krems. Von Klosterneuburg hat der Gegner Brückenkopf bei Korneuburg gebildet, Bereinigung bisher nicht gelungen. Der Kampf um Wien geht seinem Ende zu; Floridsdorfer Brücke gesprengt, von Reichsbrücke keine Meldung. Großer feindlicher Schlachtfliegereinsatz über Wien nördlich der Donau. Einbruch südwestlich Großenzersdorf, Richtung Stetten. Im Raum Zistersdorf keine nennenswerten Veränderungen. Bei Hohenau Einbruch von Süden und Osten. Kämpfe im Ort.“ 

Sonntag, 15. April 1945

Die Kämpfe dauerten im Marchfeld, im Raum Korneuburg und um Raum St. Pölten weiter an. Die Orte wurden wechselweise von sowjetischer oder deutscher Artillerie unter Beschuss genommen, Bomber flogen Angriffe gegen gegnerische Ziele. Langenzersdorf wurde von Klosterneuburg aus unter Beschuss genommen. Die aus Richtung Deutsch-Wagram vordringenden Sowjettruppen stießen bei Gerasdorf auf heftigen Widerstand von SS-, Panzer- und Flak-Einheiten: 30 Personen starben, 16 Objekte brannten aus, die Kirche und viele andere Gebäude wurden teils schwer beschädigt.
Im Raum St. Pölten fiel ein Ort nach dem anderen: u. a. Hain, Ragelsdorf und Ratzersdorf. Schwere Panzerkämpfe fanden südlich von St. Georgen am Steinfeld statt. Bei Ochsenburg überschritten sowjetische Truppenteile die Traisen und rückten Richtung St. Pölten vor. Selbst ein so kleiner Ort wie Ambach, eine Katastralgemeinde von Oberwölbling, wurde schwer umkämpft: Deutsche Einheiten hatten sich im Wald verschanzt und nahmen den von den Sowjets besetzten Ort unter Beschuss: 17 Häuser wurden vernichtet, 13 Zivilisten fanden den Tod. Ähnliches spielte sich in Karlstetten, Statzendorf und Wagram an der Traisen ab. In den Abendstunden fiel schließlich St. Pölten, nachdem die Deutsche auf ihrem Rückzug alle Brücken gesprengt hatten. Während der vorangegangenen Fliegerangriffe waren 39 Prozent des Hausbestandes zerstört und 591 Zivilpersonen getötet worden.
Die Gauleitung Linz meldete abends an die Parteikanzlei in München: „In Wien ist der Kampf beendet. Ein tiefer Einbruch gelang den Bolschewisten an der Traisen, schwere Straßenkämpfe in St. Pölten; Stadt nicht zu halten. Richtung Krems starkes Vordringen der Bolschewisten bei Herzogenburg. Traismauer und Statzendorf von den Bolschewisten genommen. Nördlich der Donau bei Zistersdorf keine weiteren Fortschritte. Brückenkopf in Feindeshand. Traisenlinie, die gehalten werden sollte, ist durchbrochen. Die Stoßrichtung geht gegen Melk, donauaufwärts gegen Linz. Gauleiter Eigruber ist zwar seit Monaten vorbereitet, ob er halten kann, kann er nicht sagen; vorbereitet ist der Gauleiter seit langem!
Um 22 Uhr 30 tickte der Fernschreiber wieder: „St. Pölten von Bolschewisten genommen, Vormarsch geht mit schwachen Kräften weiter Richtung Scheibbs und Melk.

Montag, 16. April 1945

In der Nacht war die Temperatur noch einmal unter 0 Grad gefallen. Auf die kalte Nacht folgte ein sonniger, wolkenloser Himmel, der im krassen Gegensatz zu den Geschehnissen auf der Erde stand. Schon in der Nacht waren wieder die Bomber von Foggia aufgestiegen und bombardierten Ziele in Österreich, ein schwerer Luftangriff traf Villach. Die Luftflotten sollten jetzt laut Befehl des Oberkommandierenden nur mehr zur Unterstützung der Bodentruppen eingesetzt werden. Für die Zivilbevölkerung machte es aber keinen Unterschied, ob sie aus strategischen oder taktischen Gründen dem Bombenhagel ausgesetzt waren.
Beiderseits der Donau in Niederösterreich gingen die Kämpfe mit unverminderter Härte weiter. Die Eroberung von Klein-Rust etwa, einem kleinen Ort im Bezirk St. Pölten, der auch heute nicht mehr als 113 Einwohner zählt, dauerte 24 Stunden. Mussten die deutschen Truppen abziehen, so revanchierten sie sich meist noch beim Rückzug mit Artilleriefeuer. An der Pielach in Obergrafendorf standen sich deutsche und sowjetische Truppenteile gegenüber; Eisenbahnbrücken der Mariazeller Bahn wurden gesprengt. Auch Obritzberg kam in die Kampflinie: Deutsche Truppen sprengten den Kirchturm. Deutsche Flieger bombardierten Pottenbrunn.
Währenddessen entwickelte sich der Kampf im Marchfeld zu einer richtigen Schlacht. Die deutsche Armee hatte den Auftrag, die Erdölförderanlagen mit aller Kraft zu verteidigen. Es waren dies die letzten im „Deutschen Reich“, die noch einigermaßen in Betrieb waren.
In den Bezirken Mistelbach und Gänserndorf setzte die Rote Armee ihren breiten Frontalangriff fort. In Schrick zerstörten Bomber 71 Objekte, 98 erlitten schwere, 60 leichte Schäden; 60 sowjetische und 46 deutsche Soldaten fielen. Palterndorf, im Tal der Zaya gelegen, wurde von einer deutschen Einheit mit Sturmgeschützen acht Tage verteidigt. Die Sowjets mussten Flieger und Stalinorgeln einsetzen. Nach der Eroberung war der Ort nahezu zerstört.
Der Bericht nach München sah die Lage durch eine rosarote Brille: „Kleiner Einbruch in Enzersdorf nach Wölbling; zwei kleinere eigene Kampftruppen zum Vorstoß angesetzt. Abschnitt St. Pölten: keine stärkeren feindlichen Angriffe. Panzer Richtung Wilhelmsburg gegen linken Flügel des 1. SS-Korps. An der Donau nichts Neues. Feindlicher Vorstoß auf Korneuburg abgewehrt. Angriff gegen Manhartsbrunn zwang, eigene Gefechtsvorposten zurückzunehmen. Aus Korneuburg wird Panzerangriff Richtung Stockerau erwartet. Einbruch bei Wolfpassing an der Hochleithen. Korps 'Feldherrnhalle' wird westlich Wötzersdorf in breiter Front durch Infanterie angegriffen. Allgemeiner Eindruck: Bolschewisten scheinen kampfmüde zu sein. In Steiermark keine weiteren Veränderungen, lediglich Fürstenfeld vom Feind genommen.

Dienstag, 17. April 1945

Der Schwerpunkt der Kämpfe lag an diesem Tag wieder nördlich der Donau. Noch immer wurde um jeden kleinen Ort im Weinviertel gekämpft, im Bezirk Korneuburg etwa rund um Tresdorf: 36 Häuser und Scheunen brannten vollständig aus. Um ihren Rückzug zu decken, sprengten die deutschen Truppen Straßen- und Bahnbrücken. Im Bezirk Mistelbach zeichnete sich ein ähnliches Bild ab. Die Orte lagen unter Artilleriefeuer und Fliegerbeschuss. Um Niederkreuzstetten etwa dauerten die Kämpfe zwölf Stunden. Im Bezirk Gänserndorf eroberten die sowjetischen Truppen weitere Orte, darunter Dobermannsdorf, Gösting, Großinzersdorf, Windisch-Baumgarten und Zistersdorf.
Südlich der Donau gab es rund um Herzogenburg heftige Kämpfe. SS-Einheiten und der Volkssturm verteidigten die Stadt gegen die aus Norden und Osten vordringenden Sowjettruppen. Auch Orte im Bezirk Krems gerieten nun in den Feuerbereich der sowjetischen Artillerie. Die Hauptkampflinie verlief südlich von Höbenbach (bei Paudorf).      
Abends ging ein Bericht des Gauleiters von Oberdonau, August Eigruber, nach München: „Wilhelmsburg zurückgewonnen, westlich St. Pölten wechselvolle Kämpfe vor Gerersdorf, nördlich bei Hollenburg. Östlich Krems Übersetzversuch über die Donau abgeschlagen. Zistersdorf vom Feind erobert, die Ölgebiete sind schwer gefährdet und nicht zu halten. Feind vor Mistelbach; zwischen Zistersdorf und Mistelbach tiefe Einbrüche Richtung Brünn.



Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra, Kuratorin und Wissenschaftliche Leiterin Geschichte
Verwendete Literatur: Theo Rossiwall, Die letzten Tage. Die militärische Besetzung Österreichs 1945. Wien 1969.


Link zur Ausstellung Kriegsschauplatz Niederösterreich

20. April 2016

Kriegsschauplatz NÖ: Die letzten Tage – Ostern 1945


Es war ein Frühling, wie man sich ihn immer erträumt. Der März 1945 war frühsommerlich warm,
Am 13. Februar 1945 nach wochenlanger Belagerung durch die russische Armee war Budapest gefallen. Die 2. und 3. Ukrainische Front bewegte sich nun gegen Westen. In einer Zangenbewegung sollte Wien angegriffen werden: Die 2. Ukr. Front marschierte Richtung March, die 3. Ukr. Front Richtung Burgenland, um dann von dort durch das Wiener Becken von Süden gegen Wien vorzudringen. Zwischen Schachendorf und Rechnitz überschritten die ersten Rotarmisten am 28. März die österreichische Grenze. Es war der Mittwoch in der Karwoche.
Fliegerbomber an der Fensterfront vor der Ausstellung Kriegsschauplatz NÖ,
Foto: Lechner (c) Landesmuseum Niederösterreich
Die Bäume standen in voller Blüte. Der Optimismus, den die Natur ausstrahlte, stand im krassen Gegensatz zur Stimmung der Menschen. Seit fünfeinhalb Jahren tobte nun schon der Krieg und wollte noch immer kein Ende nehmen. Nun näherte er sich bedrohlich den Grenzen Niederösterreichs. Man meinte fast, in der Ferne bereits Gefechtslärm zu hören. Zwar tönten aus dem Volksempfänger noch immer propagandistische Durchhalteparolen, aber auch Österreich – der „Luftschutzkeller des Reiches" – war seit 13. August 1943 „Heimatkriegsgebiet". An diesem Tag hatte die US-Airforce erste Angriffe gegen Österreich. geflogen. Seit der Stationierung der 15. Luftflotte in Foggia war Österreich für die Bomber erreichbar geworden. Ziel des ersten Angriffs waren die Rüstungsbetriebe in Wiener Neustadt. Die Angriffe kamen überraschend – die Flugabwehr wurde gerade erst aufgebaut. Der Schaden war nicht groß, die Zahl der Opfer indes schon: Es gab 185 Tote, 150 Schwer- und 700 Leichtverletzte.

Gründonnerstag, 29. März 1945

Die ungarische Regierung hatte sich nach ihrer Flucht aus Budapest zunächst in Kőszeg (kroat. Kiseg, dt. Güns) aufgehalten, ca. 2 km von der österreichischen Grenze entfernt. Als die Front unaufhaltsam näher kam, floh sie weiter Richtung Westen. Zum Schutz der Stadt hatte man das Volkssturmbataillon Lilienfeld herbeigeholt – 350 Mann trafen ein, ohne Waffen – 59 Mann konnte der Stadtkommandant bewaffnen, die anderen schickte er wieder heim. Sie blieben, waren aber ohne Chancen. Um 11 Uhr 05 rollten sowjetische Panzer bei Kloster Marienberg über die Grenze. Ihr Ziel war das Wiener Becken. Bis 17 Uhr waren sie kampflos bis in das Gebiet von Mannersdorf an der Rabnitz vorgedrungen. Gegen Abend drangen erste Aufklärungspanzer bis Lembach bei Kirchschlag in der Buckligen Welt vor. In der Nacht ratterten zwischen Kőszeg und Oberpullendorf ununterbrochen sowjetische Panzer und Laster mit Nachschub Richtung Niederösterreich.

Karfreitag, 30. März 1945

Sowjetische Panzer- und Schützenverbände drangen weiter in das Oberpullendorfer Becken vor. Der Widerstand der zahlenmäßig weit unterlegenen Einheiten der Deutschen Wehrmacht hatte ihnen nur wenig entgegenzusetzen. Kurzzeitig gelang es Lockenhaus zu verteidigen; um 17 Uhr entfernten einmarschierende Rotarmisten aber bereits die Symbole der NS-Herrschaft. Wiener Neustädter „Kriegsschüler" wurde zur Verteidigung der Linie Wiesmath – Zöbern – Krumbach – Ponholz eingesetzt. Sie sollten den Zugang nach Aspang Markt sowie nach Grimmenstein sperren. Abends setzte Gefechtstätigkeit ein. Bis zum Anbruch der Nacht war nahezu der gesamte Bezirk Oberpullendorf in sowjetischer Hand.

Karsamstag, 31. März 1945

Während der gesamten Nacht hatten die Kämpfe angedauert. Sowjetische Artillerie beschoss Wiesmath. Die Kriegsschüler, die die Gegend dort verteidigt hatten, mussten sich zurückziehen. Um 13 Uhr 15 erreichte ein sowjetischer Vorstoß Krumbach; dann zogen sie weiter die Bundesstraße 55 entlang; auf leichten Widerstand stießen sie nur in Thomasberg und Edlitz. Dann fiel Grimmenstein. Bis zum Abend war das Pittental von Scheiblingkirchen bis Grimmenstein in sowjetischer Hand.
Der Einbruch und das Vordringen der sowjetischen Armee fand im Wehrmachtsbericht aus Berlin keine Erwähnung. Auch der „Völkische Beobachter" schwieg: Nur eine kleine Notiz erinnerte an das Sirenensignal bei Feindalarm: „Das Signal ‚Feindalarm‘ besteht aus einem fünf Minuten langen, an- und abschwellenden Heulton; während die Sirenen bei ‚Fliegeralarm‘ etwa 15mal auf- und abschwellen, heulen sie bei ‚Feindalarm‘ 75mal."

Ostersonntag, 1. April 1945

Einblick in die Ausstellung Kriegsschauplatz NÖ,
Foto: Lechner (c) Landesmuseum Niederösterreich
Das Pittental war nachts von Bränden taghell erleuchtet, aber es waren diesmal nicht die Freudenfeuer der Osternacht. Weitere sowjetische Panzerkolonnen drangen kampflos nach Aspang, Feistritz und Kirchberg am Wechsel vor. Mittags standen Panzer vor Gloggnitz; es kam zu Schießereien und Bränden. Aus einem Luftschutzbunker holten die Sowjets Dr. Karl Renner. Panzereinheiten fuhren weiter nach Süden Richtung Semmering und trafen dort auf Widerstand. Östlich des Rosaliengebirges stießen weitere sowjetische Panzereinheiten vor – ihr Ziel war das Wiener Becken, um von Süden Wien anzugreifen. Um 14 Uhr fiel Pöttelsdorf.
Am Abend des 1. Aprils war das Steinfeld fest in sowjetischer Hand. Unterstützt wurden die Bodentruppen durch die US-Bombengeschwader. Sie flogen am Ostersonntag schwere Angriffe gegen Ziele in Niederösterreich, um weitere Teile der Verkehrsinfrastruktur zu zerstören: In St. Pölten warf die 15th US Air Force 76,25 Tonnen Bomben auf den Bahnhof und den Frachtenbahnhof ab. Zum ersten Mal meldete der Wehrmachtsbericht: „Südlich Steinamanger stehen unsere Truppen in schwerem Abwehrkampf gegen die zur Reichsgrenze vordringenden Bolschewisten. Eingreifverbände brachten den Feind, der durch eine Frontlücke bei Güns nach Nordwesten vorstieß, im Raum Wiener Neustadt zum Stehen …"
Der sowjetische Marschall Tolbuchin, der Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen Front, erhielt am Abend des Ostersonntags folgenden Befehl: „… mit 4. und 9. Gardearmee sowie 6. Garde-Panzerarmee den Angriff Richtung Wien weiter zu führen und längstens bis 12./15. April den Raum Tulln – St. Pölten – Lilienfeld zu erreichen …"

Ostermontag, 2. April 1945

Fliegerbombe beim Eingang zur Ausstellung Kriegsschauplatz NÖ,
Foto: Lechner (c) Landesmuseum Niederösterreich
Das Wetter zeigte sich weiter von seiner schönsten frühlingshaften Seite – aber wohl keiner nahm dies zur Kenntnis. Schon morgens hatten sowjetische Bomber Angriffe auf Hainburg und Bruck an der Leitha geflogen. US-Bomberverbände griffen Wien, Baden und Krems an. Irrtümlich bombardierten sie auch Gloggnitz, das bereits in sowjetischer Hand war. Sowjetarmisten und Einheimische mussten gemeinsam die Luftschutzkeller aufsuchen. Währenddessen marschierten Bodentruppen Richtung Wien. Das leidgeprüfte Wiener Neustadt fiel kampflos. Seit dem 13. August 1943 hatte die Stadt 29 schwere Luftangriffe erlebt. 55.000 Bomben waren gefallen – nur 19 Gebäude waren unbeschädigt geblieben. Die deutschen Verteidiger zogen sich Richtung Wien zur Verteidigung der Gauhauptstadt zurück. Nachhutkämpfe gab es im gesamten Wiener Becken, die schwersten in Bad Fischau, Eggendorf und Lichtenwörth. Vor der Hohen Wand entstand die neue deutsche Front: Zwei deutsche Panzerdivisionen lieferten im Raum Felixdorf – Sollenau – Steinabrückl – Theresienfeld der vorrückenden Sowjetarmee eine mehrstündige Panzerschlacht.Während das sowjetische Oberkommando Weisungen für Aufklärung und Propaganda gab, wurde in Wien zum Endkampf aufgerufen. Plakate riefen zum Widerstand auf: „Kapitulation niemals! Wien ist zum Verteidigungsbereich erklärt worden. Frauen und Kindern wird empfohlen, die Stadt zu verlassen.“ 


Dienstag, 3. April 1945

Das Wetter war weiter frühsommerlich warm. Gegen Nachmittag zogen leichte Regenschauer auf.
Die 15. Luftflotte der US-Army flog von Foggia aus weiter ihre Angriffe gegen Ziele in Österreich. In Niederösterreich waren es Bad Vöslau, Schwechat, St. Pölten und Krems.
Aus Wien begann die große Flucht. Durch die 53 Bombenangriffe der letzten Jahre war die Stadt schwer in Mitleidenschaft gezogen: 46.000 Wohnungen waren total zerstört, 150.000 beschädigt. 270.000 Wienerinnen und Wiener waren obdachlos. Sepp Dietrich, der Befehlshaber der 6. SS-Panzerarmee, die Wien verteidigen sollte, rief die Bevölkerung zum Widerstand auf: „[…] Halten wir zusammen, kämpfen wir zusammen! Es geht nicht um uns, es geht nicht um die Partei, es geht um unser Land […]." Nur Frauen und Kindern war das Verlassen der Stadt gestattet.
Am Dienstag stockte der Vormarsch der Sowjets: Grund hierfür war eine falsche Einschätzung der Verteidigungsstärke Wiens: Tolbuchin lagen unrichtige Berichte über die in Wien getroffenen Verteidigungsmaßnahmen und die Stärke der dort angeblich liegenden Truppen vor. 
Luftschutzverbandschaften aus der Ausstellung
Kriegsschauplatz NÖ, Foto: Lechner
(c) Landesmuseum Niederösterreich

Am Morgen des 3. Aprils drangen sowjetische Truppen bis Oeynhausen und Tattendorf vor. Baden, Bad Vöslau und Sooß fielen kampflos. Immer wieder flammten schwache Rückzugsgefechte auf, etwa bei Gainfarn, Tribuswinkel, Leobersdorf, Traiskirchen. Überall gab es Opfer unter der Zivilbevölkerung, in Pfaffstätten etwa fanden 18 Menschen den Tod, in Leobersdorf 13. Zahlreiche Häuser und Fabrikgebäude wurden in Brand gesetzt, nahezu alle Brücken im umkämpften Gebiet gesprengt.
Der abends erlassene Wehrmachtsbericht sprach von erfolgreichen Abwehrkämpfen. Und „Reichsführer SS" Heinrich Himmler erließ einen „Flaggenbefehl": „Im jetzigen Zeitpunkt des Krieges kommt es einzig und allein auf den sturen, unnachgiebigen Willen zum Durchhalten an. Gegen Heraushängen weißer Tücher, Öffnen bereits geschlossener Panzersperren, Nichtantreten zum Volkssturm und ähnliche Erscheinungen ist mit härtesten Maßnahmen durchzugreifen. Aus einem Haus, aus dem eine weiße Fahne erscheint, sind alle männlichen Personen zu erschießen. Es darf bei diesen Maßnahmen keinen Augenblick gezögert werden."

Text: Dr. Elisabeth Vavra, Kuratorin und Wissenschaftliche Leiterin Geschichte
Verwendete Literatur: Theo Rossiwall, Die letzten Tage. Die militärische Besetzung Österreichs 1945, Wien 1969.

Kriegsschauplatz NÖ: Die letzten Tage: 4. April – 10. April 1945

Mittwoch, 4. April 1945

Das frühlingshafte Wetter endete abrupt durch einen Kaltlufteinbruch aus Nordwest. Starke Niederschläge setzten ein. In höheren Lagen fiel Schnee.
Rund um Höflein, Hollern, Prellenkirchen, Rohrau und Wilfleinsdorf tobten ab dem Morgen Kämpfe zwischen der sowjetischen 46. Schützenarmee und dem 2. SS-Panzerkorps; sie dauerten bis in die Abendstunden. Um jedes Haus, jeden Quadratmeter Boden wurde gekämpft. Währenddessen rückten die 4. und 9. Garde-Armee von Süden Richtung Wien vor. Ein Augenzeuge aus Götzendorf 
Einblick in die Ausstellung Kriegsschauplatz NÖ, Foto: Lechner

berichtete: „Um 5 Uhr morgens kamen entlang der Leitha die ersten russischen Truppen, junge SS-Leute verteidigten den Anmarschweg und griffen über freies Gelände aus Richtung Ebergassing an. Es waren so viele, dass das ganze Gelände zu leben schien. Russische Panzer kamen aus Richtung Mannersdorf, Trautmannsdorf, ihnen entstiegen Frauen in Uniform …“.
Das Kriegsgefangenenlager in Kaisersteinbruch war schon am Ostersonntag geräumt worden; an die 14.000 waren Richtung Oberösterreich in Marsch gesetzt worden; nur 1.000 Kranke und 20 Mann Bewachung blieben zurück. Vor den Tieffliegerangriffen der Sowjetbomber suchte nun die Zivilbevölkerung Schutz in der Anlage im Steinbruch. Auch im Mödlinger Bezirk tobten die Kämpfe. Brücken über den Wiener Neustädter Kanal wurden gesprengt. Gumpoldskirchen lag unter Artilleriefeuer. In Hinterbrühl starben 53 Zivilpersonen. Auch durch den Wienerwald zog sich die Front. Russische Truppen drangen ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen ins Tal der Schwechat vor und besetzten Heiligenkreuz. Heinz von Gyldenfeldt, Generalstabschef der Heeresgruppe Süd, vermerkte am Abend lakonisch in seinem Tagebuch: „Es glückt dem Gegner, aus der Gegend Wiener Neustadt durch den Wienerwald in Richtung Tulln vorzustoßen.“  

    
Donnerstag, 5. April 1945

Morgens lag südlich der Donau nur mehr ein kampffähiger deutscher Verband bei Bruck an der Leitha. Alle anderen Armeeeinheiten waren aufgerieben. Die 3. Ukrainische Front verfügte dagegen über drei Armeen und wurde durch Nachschub an Mann und Material laufend verstärkt. Ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung wurde um jede Gemeinde, jeden kleinen Weiler gerungen. Heiß umkämpft war Hainburg: Bomber unterstützten die Bodentruppen. 18 Objekte wurden total zerstört, 50 stark, 170 leicht beschädigt. Deutsche Truppenteile auf dem Rückzug sprengten alle militärische 

Einblick in die Ausstellung Kriegsschauplatz NÖ, Foto: Weitzenböck
Einrichtungen in der Stadt, das Magazin der Tabakfabrik und schließlich die Straßenbrücke nach Deutsch-Altenburg. Das bereits von den Sowjets besetzte Haslau wurde von deutschen Fliegern bombardiert. Gleiches geschah auch in Maria-Ellend, Petronell, Pischelsdorf und Scharnstein. Auch im nördlichen Wiener Becken und am Abhang des Wienerwaldes zeichnete sich ein ähnliches Bild ab: Maria-Enzersdorf, Sparbach und Weißenbach fielen kampflos. In Gießhübl gab es Tote unter der Zivilbevölkerung. Bei Biedermannsdorf wurde der Bahndamm der Aspangbahn gesprengt. In Laxenburg, das dreimal die Besetzer wechselte, kamen insgesamt 200 sowjetische und deutsche Soldaten ums Leben. Sowjetische Truppen drangen Richtung Tullnerfeld vor. Am Wechsel und am Semmering sowie vor der Hohen Wand hatten sich Einheiten im Stellungskrieg vergraben.
Eintrag im Tagebuch Gyldenfeldts: „Durch den russischen Vorstoß aus Richtung Wiener Neustadt auf Tulln kommt unser Oberkommando in Mauerbach in Platznot; wir machen an St. Pölten vorbei Stellungswechsel nach Sankt Leonhard [= am Forst].“


Freitag, 6. April 1945

Der Ring um Wien zog sich immer enger zusammen. Die Sowjettruppen waren in ihrem Vormarsch nicht aufzuhalten – trotz Bombenabwürfen deutscher Flieger, die in erster Linie die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zogen, trotz des Widerstandes von Gendarmerie und Volkssturmmännern. Die versprengten deutschen Wehrmachtseinheiten zogen sich zur Verteidigung der Gauhauptstadt Richtung Wien zurück. Östlich von Wien erreichten die Sowjets Schwechat und nahmen es kampflos ein. Brücken wurden gesprengt, Bahnhofsanlagen in Brand gesteckt. Nach dreitägigen Kämpfen war auch bei Bruck und Bruckneudorf der Widerstand des deutschen Panzerkorps gebrochen. Die Orte hatten schweren Schaden erlitten. Brücken, Wasserkraftwerke und Getreidespeicher wurden von der abziehenden Waffen-SS gesprengt.
Tolbuchin erhielt den Befehl, die 46. Armee auf das linke Donauufer zu verlegen, um Wien nördlich zu umgehen.
Einblick in die Ausstellung Kriegsschauplatz NÖ, Foto: Lechner
Aus St. Leonhard am Forst, wo der Heeresgruppenstab lag, wurde nach Berlin berichtet (in Auszügen): „Die Lage an der March ist sehr kritisch. abberufene Einheiten kommen viel zu spät. – Die Heeresgruppe hat sich in den gestrigen Nachmittagsstunden 80 km nach hinten abgesetzt. Keiner der Herren des Stabes glaubt, dass der Vorstoß in das Erdölgebiet aufgefangen werden kann, Ich muss festhalten, dass die Herren auch an unseren Sieg nicht mehr glauben. – Die feindliche Artillerie beschießt von Stellungen südlich Wien einen Teil der Stadt. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung ist geblieben, weil die Verkehrsverbindungen nach dem Westen und Nordwesten unterbrochen oder durch rückflutende Wehrmachtseinheiten und ungarische Trecks verstopft sind. – Wenn nicht sofort neue Einheiten in den Raum Niederdonau geworfen werden, ist in den nächsten Tagen unausbleiblich, dass das gesamte Industriegebiet des Wiener Beckens und ein Großteil Niederdonaus verlorengehen …“.
Marschall Tolbuchin rief die Bevölkerung Wiens zur Mithilfe auf: „Bürger Wiens! Helft der roten Armee bei der Befreiung Eurer Stadt und nehmt an der Befreiung Österreichs vom deutsch-faschistischen Joch teil!“


Samstag, 7. April 1945

Das Wetter blieb kalt, unfreundlich – graue Regenschleier verhüllten gnädig die Zerstörungen des Krieges. Morgens traf in St. Leonhard am Forst ein Führerbefehl ein: Das Erdölgebiet sollte möglichst lang geschützt werden, um die Produktion in Betrieb zu halten.
Währenddessen dehnten die Sowjets ihr Operationsgebiet im Tullnerfeld immer weiter aus: Baumgarten, Katzeldsdorf, Röhrenbach, Wipfing und Wolfpassing fielen ohne Widerstand. Deutsche Tiefflieger bombardierten einzelne sowjetische Panzereinheiten. Am Fliegerhorst Langenlebarn sprengten SS-Einheiten die Hallen und Wohngebäude. Deutsche und sowjetische Artillerie feuerten aufeinander über die Donau.
In Kaltenleutgeben war der Kampf nach vier Tagen endlich zu Ende. Aber an der Wienerwaldfront bei Großau und Raisenmarkt gingen die Kämpfe weiter. 17 Häuser und neun Scheunen wurden niedergebrannt. In Wien war die „Führer“-Panzerdivision eingetroffen, die die Stadt verteidigen sollte. Zwei Brücken über den Donaukanal und die südlichste Donaubrücke wurde gesprengt, um die Rote Armee am Übersetzen zu hindern. Die ersten Sowjetpanzer tauchten im Wiental und beim Lainzer Tiergarten auf. 

 
Sonntag, 8. April 1945

Rotarmisten drangen weiter nach Wien vor, marschierten in die südlichen Bezirke ein, besetzten Liesing, Simmering und Favoriten. Erst auf der Höhe des Gürtels stießen sie auf Widerstand. Ihre Artilleriestellungen beschossen die inneren Bezirke, erste Einschläge wurden in der Inneren Stadt verzeichnet. Die Wienerinnen und Wiener hatten sich in den Luftschutzkellern verkrochen – vorher hatten sie noch weiße Fahnen aus den Fenstern gehängt.
Einblick in die Ausstellung Kriegsschauplatz NÖ, Foto: Weitzenböck
In der Nacht zuvor war Generaloberst Lothar Rendulic als neuer Oberbefehlshaber eingetroffen. Sein erster Befehl war der Abzug der „Führer“-Panzerdivision aus Wien und deren Verlegung auf das linke Donauufer. Ein Kampf um Wien erschien sinnlos, da die Rote Armee unaufhaltsam auch vom Tullnerfeld aus vordrang.
Es galt nun wenigstens Donau und March zu halten. Durch das Wiental kommend erreichten sowjetische Einheiten Hütteldorf und den Westbahnhof. Zu Mittag rollten die ersten Panzer über den Kahlenberg, am Nachmittag standen sie in Heiligenstadt. Deutsche Artillerie nahmen sie vom nördlichen Donauufer aus unter Beschuss. Immer wieder flogen deutsche Flieger Angriffe; sehr oft trafen sie zivile Einrichtungen, so wurden in Ried am Riederberg 14 Häuser zerstört. Noch war Tulln nicht gefallen. Die Kämpfe um den Brückenkopf Tulln dauerten bis in die Abendstunden an. Dann ließ der deutsche Kampfkommandant den bereits mittags erhaltenen Führerbefehl ausführen: Die Eisenbahn- und Straßenbrücke über die Donau wurden gesprengt. Tulln hatte bis zu diesem Zeitpunkt bereits sechs schwere Fliegerangriffe durch US-Bomber erlebt: Diese hatten 91 Tote gefordert, 41 Häuser zerstört, 87 schwer und 350 leicht beschädigt.
Die Heeresgruppe erhielt abends aus Berlin den Befehl, mit Angriffen vom Semmering und durch Nebenangriffe von St. Pölten und westlich von Wien  aus den Fall Wiens zu stoppen.
Gyldenfeldt notierte in seinem Tagebuch: „Dies ist völliger Wahnsinn, denn 1. werden alle Kräfte dringend anderswo benötigt, 2. ist nicht berücksichtigt, wie sich die Feindlage bis zum möglichen Angriffsbeginn entwickelt, und 3. ist nunmehr – wo das Ende des Krieges so deutlich abzusehen ist – ein solcher Angriff, der starke Verluste mit sich bringen muss, überhaupt abzulehnen.“


Montag, 9. April 1945

Der Kampf um und in Wien ging weiter. Häuserblock um Häuserblock wurden von der Roten Armee unter dem Schutz von Panzerverbänden durchsucht und gesäubert. Einzelne Brücken im Stadtgebiet wurden gesprengt.
Auch im Marchfeld ging der Vormarsch der Sowjetarmee weiter. Die Donauflottille hatte den Großteil der 46. Armee – 72.000 Mann und 567 Geschütze – auf das Nordufer der Donau übergesetzt. Die im Marchfeld stationierte 8. Armee sowie die aus Wien abgezogene Panzerdivision leisteten erbitterten Widerstand, kämpften um jeden Ort, aber sie mussten immer mehr dem Druck 
Einblick in die Ausstellung Kriegsschauplatz NÖ, Foto: Lechner
der Roten Armee nachgeben. Im Tullnerfeld erfolgten Stellungskämpfe. Die Deutsche Wehrmacht räumte Abstetten, Michelhausen, Rust und Zwentendorf. Radio Moskau berichtete: „Bei vernichtenden Verfolgungen der deutsch-faschistischen Streitkräfte ist die Rote Armee in Österreich eingedrungen und hat Wien eingekreist.
Zum Unterschied von der Bevölkerung in Deutschland widersetzen sich die Österreicher jeder von deutschen Behörden geforderten Evakuierung und erwarten an Ort und Stelle freudig die Rote Armee als Befreierin vom Joche Hitlers. Die Sowjetregierung beabsichtigt nicht, irgendeinen Teil des österreichischen Territoriums zu okkupieren oder die soziale Struktur Österreichs zu verändern.“
Das Oberkommando der deutschen Wehrmacht veröffentlichte abends den geschönten Bericht: „Das Schwergewicht der Kämpfe liegt weiter im Wiener Raum. Starke Angriffe aus dem Wiener Wald nach Westen und Norden scheiterten unter Abschuss von 35 Panzern an dem hartnäckigen Widerstand unserer Verbände. Im Süd- und Westteil von Wien stehen unsere Truppen in schweren Kämpfen. Versuche des Feindes, seine Brückenköpfe über die March zu erweitern, blieben allgemein erfolglos.

Dienstag, 10. April 1945

Die Lage in Wien war hoffnungslos. Die deutschen Kampftruppen, die die Rote Armee am Gürtel aufhalten sollten, erhielten endlich den Befehl zum Rückzug auf die Linie Donaukanal. Aber auch diese Linie war eigentlich schon längst nicht mehr in deutscher Hand. Sie bestand nur mehr aus getrennt agierenden kleinen Trüppchen. Bis zum Abend hatten die Sowjets die Innere Stadt eingenommen. Im 2. Bezirk brannte der Prater.
Währenddessen zerbrach auch im Marchfeld die deutsche Verteidigungslinie. Auf dem Rückzug sprengte die Wehrmacht nahezu alle Straßenbrücken, um den Vormarsch der Sowjets zu erschweren. Im Tullnerfeld bombardierten deutsche Flieger weiter den sowjetischen Nachschub, dabei kamen in Königstetten zehn Zivilisten ums Leben. Auch im Bezirk St. Pölten dauerten die Kämpfe an: Deutsche Infanterie, unterstützt von Fliegern, leisteten Widerstand. Es wurde um jeden Ort gekämpft. Die Waffen-SS sprengte die große Tullnbrücke. Schließlich zwangen sowjetische Fallschirmjäger die Deutschen zum Rückzug. Im westlichen Niederösterreich löste der Zusammenbruch der Front Panik unter der Bevölkerung aus. In der „Donauwacht“, dem Mitteilungsblatt des Kreises Krems der NSDAP, erschien „zur Beruhigung“ ein Bericht, über die „Erfolge“ des Volkssturms, der nun zum Retter stilisiert wurde: „Das Alarmbataillon Krems des Volkssturms hat in seinem Einsatz in den letzten Tagen den Feind zwei Tage und zwei Nächte aufgehalten und bewiesen, dass der Feind geschlagen werden kann, wenn nur das Herz am rechten Fleck ist.“
Abends erhielt die Heeresgruppe vom Oberkommando der Wehrmacht den Befehl, die Reichsbrücke zu sprengen; der Einbau der dazu nötigen Sprengstoffladungen war aber aufgrund des Sperrfeuers der sowjetischen Maschinengewehren nicht mehr möglich.

Text: Dr. Elisabeth Vavra
Verwendete Literatur: Theo Rossiwall, Die letzten Tage. Die militärische Besetzung Österreichs 1945, Wien 1969